Sit plenum venter in corpore sano!
Dezember 25th, 2008 at 15:18
Geschrieben von Dr. Randy Weinheimer in Medien

Ausgerechnet in der heiligen Nacht folterte RTL seine Zuschauer mit der nur äußerlich aufwendigen Bibel-Inszenierung des trinkfesten Ben Becker. Auch wenn ihm dafür der reflexartige Applaus des auch in der Mitte der Gesellschaft zu findenden geistigen Prekariats zuteil wurde, muß ich folgendes feststellen: Das war wirklich das Grauenhafteste und Lächerlichste, was ich auf diesem Gebiet je gesehen habe.

Es reicht eben nicht, wenn man morgens um 3 Uhr in Berliner Szene-Kneipen der Besoffenste ist und das größte Maul hat. Das langt vielleicht für eine warzige Zirrhose der Leber und eins auf die Fresse vom Türsteher - nicht aber für eine Interpretation der Bibel. Wo Genie ist, ist meist auch Exzeß. Aber wo Exzeß ist, ist nicht zwangsläufig auch Genie. Ben Becker ist es gelungen, eine breite Schicht ästhetisch nicht urteilsfähiger Szenegänger mit diesem Umkehrschluß zu täuschen. Wo hat Becker seine Interpretationskunst gelernt? Von seinem Vater Otto Sander? Sicher nicht! Der kann es nämlich - im Gegensatz zu seinem Sprößling, der den Vater leider nur zu übertrumpfen sucht, indem er noch mehr säuft als dieser.

Ben Becker trieft vor falschem Pathos und es ist eine Qual, ihm länger als 10 Minuten zuhören zu müssen. Vielleicht verwechselt er ja wirklich das fast schon greisenhafte Vibrato seiner Trinkerstimme mit Ergriffenheit. Offensichtlich ist jedenfalls, das es bei Becker nur um Pose geht und nicht um Poesie. So klingt auch die gesamte Bibel-Lesung von vorne bis hinten einförmig und gleich. So wie man jeden Geschmack eines Essens mittels Ketchup totschlagen kann, kann man einen Text ruinieren, wenn man ihn mit der allesvernichtenden Soße eines verlogenen, selbstgefälligen Pathos übergießt. Am Ende klingt alles eintönig und unerträglich langweilig. Auch gelegentliches Rudern mit den Armen - vermutlich als eindringlich, kraftvolle Geste gemeint - vermag darüber nicht hinweg zu täuschen.

Zur Ehrenrettung Beckers sei gesagt, daß er als Schauspieler schon die eine oder andere akzeptable Leistung abgeliefert hat, aber die Bibel ist deutlich zu anspruchsvoll für sein überschaubares interpretatorisches Vermögen. Ganz und gar entsetzlich wird es, wenn Becker dann auch noch singt. Ausgerechnet bei Elvis´ “In the Ghetto”, versucht Becker noch ein wenig pathetischer zu sein, als das Original. Spätestens hier wird es so unterirdisch, daß die Veranstaltung den gefühlten Erdmittelpunkt erreicht. Schlechter gehts nimmer.

Wie sehnt man sich da nach der Wiederaufstehung eines echten Genies wie Kinski, wenn man diese bedauerliche und peinliche Aufführung eines von übermäßigem Alkoholgenuß inflationierten Selbstbewußtseins hat erleben müssen! Während sich ein Kinski mit Herz und Seele, Geist und Körper, schutzlos bis zur Selbstzerfleischung auf einen Text einlassen und ihn so zu einer bis ins tiefste Element ergreifenden emotionalen Erfahrung machen konnte - Becker kann im Vergleich dazu nichts. Nullkommagarnichts.

Mitleid gebührt den armen Musikern des Filmorchesters Babelsberg, die einerseits als Teil der größenwahnsinnigen Kulisse und gleichzeitig als Hintergrundgedudel herhalten müssen, um das talentfreie Gesülze des bedauerlicherweise wiederbelebten Maulhelden Becker erträglich zu machen.

An die angebliche Nahtod-Erfahrung Beckers infolge Drogenkonsums - ausgerechnet 7 Wochen vor der Premiere dieser unsäglichen Machenschaft - kann ich angesichts der lausigen Leistung einfach nicht glauben. Um einen so ausgemachten Mist so erfolgreich zu verkaufen bedarf es einer ausgefeilten Strategie. Ich bin schon zu lange auf der Medien-Welt um an Zufälle zu glauben und nicht zu wissen, daß Marketing in der Aufmerksamkeitsökonomie eine vollkommen moralfreie Zone geworden ist. Keine Lüge ist zu schäbig, wenn sie nur dazu dient, Öffentlichkeit zu erzielen und letztlich geeignet ist, der zu Zombies gewordenen Masse von Idioten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich die rührselige Geschichte vom in letzter Sekunde wiederbelebten Mimen wirklich so zugetragen hat, tendiert angesichts meiner Erfahrungen deutlich gegen Null.

Und wenn es wider Erwarten wahr wäre - hätte es dann nicht anders ausgehen können? Der Welt wäre dann jedenfalls eine sehr schlechte Bibellesung erspart geblieben….


3 Responses to “Bibel-Popanz Ben Becker - Pose statt Poesie”

  1. 1
    Anne Vester Said: @10:42 

    Samstagmorgen. Habe mir gerade Ausschnitte aus einer Aufzeichnung des Ben-Becker-Soektakels von RTL angeschaut. Darauf mit Erstaunen die vielen positiven bis überschwenglichen Kommentare im Internet gelesen. Dachte, das darf doch nicht wahr sein. Traf dann auf den Max Blog (kannte ich nicht) und mir ging das Herz auf. Diese unsägliche Veranstaltung, die offenbar Massen anzuziehen vermag (da sieht man mal, was Werbung zusammen mit bombastischer, sinnbetörender Inszenierung zu bewirken vermag - Hitler wusste sie einzusetzen wie kein anderer). Es wäre nicht weiter schlimm, schlechte Aufführungen gibt es immer wieder. Aber hier geht es um mehr, geht es um die Einlullung des Publikums. Und es bedankt sich dafür mit standing ovations. Der Mensch lernt nichts dazu.

  2. 2
    samoth Said: @21:21 

    Hallo Dr. Randy,

    oh wie wahr gesprochen.

    Und was das Schlimmste ist: Ich hatte mir zum Geburtstag 2007 im November eine 66 Euro teure Karte zu diesem “einzigartig blasphemischen Skandal” geschenkt - live, und mit bester Sicht.

    Und es war keinen Deut besser als das was du über den RTL-Schnitt geschrieben hast.

    Doch das Allerschlimmste:

    Ich habe bis heute nicht begriffen, warum ich - augenscheinlich - fast der Einzige war, dem es nicht gefallen hatte.

    Die Zuschauer klatschten, johlten… Und ich hätte echt heulen können.

    Danke sehr für deine Rezitation. Eine schöne, kleine Genugtuung, für einen echt versauten Abend.

    Herzlich
    Thom

  3. 3
    Beate Said: @13:41 

    Obwohl ich schon im Februar die Veranstaltung in Köln abgesessen habe, ist die Wut im Bauch immer noch nicht verflogen.
    Für viel Geld haben meine Söhne die Karten für uns gekauft. Skeptisch war ich schon vorher, da Kirche nicht unbedingt mein Ding ist. Doch ich ließ mich überraschen.
    Auch wir haben die Show als einschläfernd und furchtbar erlebt. Eine eintönige Dramaturgie und das über drei Stunden! Auch wir haben gedacht, dass wir die einzigen waren, die so empfanden. Standing ovations, es ist nicht zu fassen!
    Ich habe sogar versucht, genau zuzuhören: Nach dieser Veranstaltung weiß ich, dass meine Ungläubigkeit genau richtig ist. Mit einem Glauben an so viel Grausamkeit, Morden, Antisemitismus, Verfolgung könnte ich mein tägliches Leben überhaupt nicht überstehen.

    Gruß

    Beate

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