Ich bin ja so ein gutmütiger Idiot. Sollte meine Erziehung überhaupt zu etwas nütze gewesen sein, dann dazu, mich zu einem reflexartig hilfsbereiten Trottel zu machen.
Omis, die über die Straße wollen? Ich bringe sie rüber! Touristen, die sich verlaufen haben? Ich beschreibe wortreich und im Zweifelsfall mehrsprachig und mit Händen und Füßen den kürzesten Weg auch zur langweiligsten Sehenswürdigkeit. An der Kasse lasse ich Depp anderen den Vortritt, wenn diese nur einzelne Waren kaufen wollen. Ich habe sogar mal einen jungen Mann, der mir beim Ausparken ans Auto gebumst war und einen Kratzer hinterlassen hatte, unbehelligt ziehen lassen, weil er mir leid tat und so arm und abgerissen aussah.
Dieser Tage habe ich mich in Halle wahnsinnig über meinen Hilfsbereitschaftsreflex geärgert, und das kam so: An der Haltestelle, an der ich nach einem langen Arbeitstag in eine der Hallenser Bimmelbahnen einsteigen wollte, stand eine junge, nicht mal schlecht aussehende Mutter nebst zwei kleinen, niedlichen, höchstens fünfjährigen Mädchen und einem dritten Gör im Kinderwagen. Selbstverständlich bin ich stets ganz Offizier und Gentleman, wenn junge Mütter meiner Hilfe bedürfen. Also bot ich der Frau an, ihren völlig überdimensionierten Kinderwagen in die Bahn zu heben. Es war ein Kinderwagen der Sorte “Wenn ich groß bin, werd ich ein amerikanischer Geländewagen!”, mit bulligen Rädern und völlig übertriebenem Profil. Wenn man seine Kinder durch den brasilianischen Urwald oder das afghanische Gebirge schiebt, braucht man möglicherweise so eine Karre, aber sicher nicht in Halle an der Saale.
Ich hätte sagen sollen: “Heben Sie doch Ihre scheiß protzige Kinderkutsche selber in die Bahn! Oder rufen sie doch den häßlichen Gorilla, der Ihnen die vielen Kinder gemacht und diese idiotische Schubkarre finanziert hat, bzw vom Sozialamt hat finanzieren lassen. Vielleicht kann dieser Primat, anstatt Sie dauernd zu bumsen, auch mal nützlicherweise beim Kinderwagen anpacken! Oder sagen Sie doch zu Ihren Töchtern, sie sollen mal “Vati” rufen, dann kommen nämlich bestimmt 5 Mann um die Ecke, die dafür in Frage kommen.”
Stattdessen sagte ich: “Soll ich Ihnen helfen, Ihren Kinderwagen in die Bahn zu heben?” Doch statt einer höflichen, oder wenigstens vernünftigen Antwort schob diese blöde Gebärmaschine einfach den Wagen auf mich zu, was wohl heißen sollte: Ja. Ich war ein wenig irritiert, packte aber zu, hob den Wagen in die Bahn und war noch etwas irritierter, weil die unablässig Kinder auf die Welt setzende Schnitte nun nicht mal Anstalten machte, sich wenigstens zu bedanken. Ich setzte mich und giftete still und leise in mich hinein. “Dieses verblödete Muttertier!” dachte ich mir “Was sollen die armen Kinder von so einer Kuh lernen? Daß man auf den Schulbesuch verzichten kann, wenn man lackierte Fußnägel hat? Aber warte nur, Du Dumpfbacke. Irgendwann musst Du aussteigen, und dann werde ich grinsend zusehen, wie Du Deinen kack Kinderwagen alleine die Treppe runter bugsierst! Hahaha Haaaaaaa haaaaaa (Diabolisches Lachen)”
Nein, es ist nicht schön, was ich da dachte, das weiß ich selber, aber Rache ist nun mal süß. Zwei Stationen weiter mußte sie wirklich wieder aussteigen, und ich rieb mir die Hände. “Nun sieh mal zu, wie Du klarkommst…” feixte ich und war gespannt, wie sie ihr Kinderwagenproblem lösen würde. Aber es kam alles anders, als ich erwartet hatte. Sie drückte das Knöpfchen, die Tür öffnete sich und eines Ihrer Kinder sprang schon mal aus der Bahn. Sie rangierte umständlich ihren Kinderwagenklotz Richtung Tür, da schloß sich diese bereits wieder, und ließ sich auch nicht mehr öffnen. Die Bahn hatte schon ein wenig Verspätung und der Fahrer wollte schnell wieder weiterfahren. Jetzt geriet die hoffnungsvolle Jungmutti doch etwas in Panik. “Mein Kind!” rief sie “Mein Kind ist schon draußen! Wenn die jetzt weiterfährt….ich dreh durch!”
Das Kind draußen hatte die Panik der Mutter bemerkt, sie ungefragt übernommen und fing sofort an zu schreien wie ein Feuermelder auf Amphetamin. Mein Blick wanderte durch die Bahn und suchte die Notbremse, die ich ja eigentlich schon immer mal ziehen wollte, aber nicht durfte, weil ich leider nie einen vernünftigen Grund dafür hatte. Nun hätte ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können. In diesem Moment sah ich aber, daß die Türe ganz hinten noch offen war. Ich dachte nicht lange nach, sprang auf und konnte mich im letzten Moment zwischen die Klapptürflügel werfen, die sich gerade, hydraulisch zischend, wieder schließen wollten. Ich rief der Dumpfbacke, der ich gerade noch die Krätze an den Hals gewünscht hatte, zu: “Hier hinten ist noch offen!”. Währenddessen versuchte die Tür immer wieder sich zu schließen und bumste mir ins Kreuz.
Die junge Mutter war aber schlicht zu bescheuert, um zu begreifen, daß sich soeben eine Handlungsalternative für sie ergeben hatte. Also blieb sie lamentierend vor der geschlossenen Tür stehen und erwartete, daß alles so kommen würde, wie sie sich mithilfe ihrer wenigen grauen Zellen schon ausgemalt hatte. Ich merkte, daß der trockene Hinweis auf eine offene Türe von ihrem Amöbengehirn nicht verarbeitet werden konnte und formulierte deshalb eine klare Anweisung: “Kommen Sie hierher und steigen Sie aus!”. Das half. Der Dumpfbatzen setzte sich in Bewegung, ihr verbliebenes Kind schrie übrigens mittlerweile ebenfalls wie am Spieß, und ich half den Kinderpanzer aus der Bahn zu hieven. Mittlerweile war auch der Fahrer der Straßenbahn ausgestiegen und kam motzend angetrabt, was das mütterliche Dummbrot mit einer Keifkanonade beantwortete.
Ich brauche wohl kaum erwähnen, daß auch meine Heldentat, die der blöden Wachtel den zumindest zeitweisen Verlust eines Ihrer Bälger erspart hatte, mit keinem Wort des Dankes quittiert wurde. Ich setzte mich wieder, und erst da wurde mir bewußt, daß ich soeben gegen meine bösen Vorsätze verstoßen hatte und der Schlampe tatsächlich ausversehen ein zweites Mal geholfen hatte. Um mich nicht grün und schwarz zu ärgern, musste ich mir immer wieder selbst einschärfen, daß ich ja nur um des verzweifelten Kindes willen so gehandelt hatte.
Und ein Kind kann schliesslich nichts dafür, wenn Mutti blöde ist.
One Response to “Selbstkritischer Beitrag”
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Klasse-Text!!! Ich hätte mich schlapp lachen können… Dabei geht es mir nicht mal so sehr um den Inhalt an sich (obwohl ich auch so ein hilfsbereiter Trottel bin), sondern um die Art, WIE du den Text verfasst hast! SUPER!!!